20.4.22. Eine Geschichte über Spanien


Neulich, auf dem Markt, am Gemüsestand. Eine Frau, sie hatte 1 Zitrone und 3 Tomaten gekauft, fragt zum wiederholten Male nach, was es kostet. Die Spanier warten respektvoll. Das tun sie immer, auch wenn jemand in der 2. Reihe parkt und kein Durchkommen ist, hier wird geduldig gewartet.
Der Händler wiederholt die Summe, fragt nach, ob die Frau spanisch spreche.
„Si, si!“
Ich nicht so doll, muss mir das Geschehen zusammenreimen. Wahrscheinlich will der Händler wissen, woher die Frau Spanisch spricht oder kommt. Sie antwortet Südamerika. Der Händler fragt etwas nach.
„No, Ucraina!“
Es reißt ein Loch in die Zeit, ins Geschehen, in das sich innere Bilder mischen: Flucht, Bomben, Horror, Schmerz, Angst …
Was war die Summe? Das kann ich doch übernehmen … Eine seltsame Scheu hindert mich.
Die Frau fragt den Preis in eigenen Worten nach, der Händler nickt.
Warum schenkt der Händler ihr nicht die paar Früchte?
Ich sehe diese kleine Frau an, das Tuch wie Grace Kelly um den Kopf geschlagen, der ältliche Mantel viel zu warm für den spanischen Frühling. Gerade steht sie da, aufrecht, klaubt die fremden Münzen zusammen, reicht sie dem Händler. Der nimmt sie, geht zur Kasse, sucht die wenigen Cent Wechselgeld und reicht sie der Frau.
Sie nimmt sie, fast hoheitsvoll, deutet auf die Petersilie, fragt nach einem Preis für ein kleines Bündel.
Der Händler fragt, ob er ihr ein Bündel schenken darf.
Die Frau stockt, schaut, ein kurzes würdevolles Nicken mit schrägem Kopf, nimmt die Petersilie und verlässt den Stand.
Das Loch in der Zeit schließt sich, wir bleiben zurück, betroffen, unsicher.
Erst viel später habe ich verstanden, das Schenken auch Würde nehmen kann.

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